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Poseidons Geschenk


Das Geschenk der Götter

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Es war nach dem Wintersolstitium, der Wintersonnenwende, zur Zeit der Raunächte, jener zwölf Nächte, die dem 24. Dezember folgten. Die treue Sonne, unsere Muttersonne, hatte den südwestlichsten Punkt ihrer scheinbaren Bahn erreicht und bewegte sich nun wieder dem nordwestlichsten Punkt zu. Präzise flog sie dahin und zog alle Planeten und alles, was Schwere hatte, Asteroiden, Kometen und was gravitativ an sie gebunden war, mit sich. Mit der enormen Bahngeschwindigkeit von 108 000 km/h oder 30 000 m/s folgte ihr treu und ergeben die Erde, auf der die Tage nun wieder länger wurden. Anfangs fast unbemerkt, später merklich, nahm die Tageslänge täglich um vier Minuten zu. Das verlängerte den Tag in einem Monat um zwei Stunden. Das gab für zwei Stunden mehr Licht. Wer in diesen rauen Nächten vom 25. Dezember bis zum 06. Jänner träumte und sich an den Traum erinnern konnte – so lautet der Aberglaube -, dem würde dieser Traum erfüllt werden! Zu dieser Zeit befand sich das Jahr an seiner Kippe. Es war die Zeit der Jahreswende. Die Sonne stand am tiefsten, das Jahr aber hatte den Höchststand seiner Tage erreicht. Das Alte war vollendet, die Sonne umrundet. Nun begann die weite Reise um den hellen Stern von vorne. Es roch nach Neubeginn. Es roch nach neuen Wünschen und Zielen. Es war also die Zeit der erfüllbaren Träume angebrochen. Die Erfüllung der Träume lag sogar in der Luft. Die Menschen hatten die unterschiedlichsten Wünsche und Träume. Frieden auf der Erde und Frieden im Herzen waren wohl an oberster Stelle, und oft waren diese Wünsche schon in Erfüllung gegangen.

Und genau am 21. 12. begaben sich fünf treue Fliegerfreunde auf eine wundersame Reise, um sich den Traum vom Fliegen zu erfüllen. Der Traum hieß LANZAROTE, die Insel der schlafenden Vulkane. Das Projekt „Apollo, Flug zum Mond“ – so nannten die Flieger ihr Inselabenteuer - wurde schon im Spätherbst geplant. Die Flüge auf die kanarische Insel waren zeitig gebucht worden. Die Fluggeräte waren behutsam verpackt und gemeinsam mit viel Geschick transportsicher gemacht worden. Am Flughafen Salzburg traf man sich zum Stelldichein, zur deutsch-österreichischen Konjunktion, zum herzlichen Titanentreffen der Starkwindflieger! Gemeinsam starteten die erfahrenen Flugveteranen ins Abenteuer, das gleich mit einem herrlichen Flug über die Alpen, Europa und Teile Afrikas begann. Von Sonnenaufgang bis zum Sonnenhöchststand zu Mittag dauerte der Flug. Der Landeanflug war grandios. Die Landung direkt an der Küste auf dem Flughafen der Hauptstadt Arrecife in Playa Honda verlief spektakulär entlang des Meeres. Muy bien! Muy bien!

Eine tiefe Sehnsucht war den Fliegern Neil Heimostrong , Edwin Walterin, Mike Wolleins, Prinzessin Leilasigrid und Dhaniel Solo gemeinsam:
Einmal oder wieder auf dieser Insel zu fliegen, über ihre bizarren Krater zu kreisen, einmal oder wieder an ihren Steilküsten zu soaren, einmal oder wieder am Meer zu fliegen, einmal oder wieder über das nasse Blau zu fliegen, einmal oder wieder über Poseidons Reich zu schweben und es den Möwen gleichzutun und entlang der Küste zu segeln, einmal oder wieder über die Gischt, dem schäumenden Wunder des Ozeans, der die schöne Aphrodite, die griechische Göttin der Schönheit und Liebe, entstiegen war, zu kreisen und mit den Elementen Wasser und Luft eins zu sein! Einmal oder wieder über mars- oder mondähnliche Landschaften zu segeln. Das waren Träume, die Piloten und Flieger lange im Herzen trugen und die sich zu gegebener Zeit erfüllen sollten. Und wenn sich die Träume für manche schon erfüllt hatten, dann wünschte sich die Fliegerseele die Wiederholung des Schönen. Einmal und immer wieder!

Dazu jedoch musste nur der Gott des Windes, Aeolus, gnädig sein. Aeolus, der Windgott! Von seiner Macht war es abhängig, ob die Stärke des Windes und seine Richtung einem Drachenflieger oder Paragleiter den nötigen Auftrieb gab. Dieser Gott war es, der für einen befliegbaren Luftpolster sorgte. Er zog die unsichtbaren Fäden. Er ließ Wolken entlang nicht wahrnehmbarer Bahnen über den Himmel gleiten. Nur seinen verborgenen Kräften folgte kondensierter Wasserdampf. Er ließ Luft strömen und Wasser wandern. Er kreiselte das Wolkenmeer gegen und im Uhrzeigersinn und löste es wieder auf. Aeolus, der Windgott! Diese himmlische Macht lenkte Luftmassen. Seinen Befehlen gehorchte das himmlische Fluidum Luft. Er hauchte oder stürmte. Er sorgte für eine Brise, einen Sturm oder einen Orkan. Er allein? Hatte er nicht Verbündete? Untertanen? Waren es nicht doch der Druckgradient und die geheimnisvolle Corioliskraft, jene Trägheitskraft in einem rotierenden System? Die Kraft in kreisenden Bezugssystemen, die auf der Nordhalbkugel aufsteigende Luftmassen nach links und absinkende Luftmassen nach rechts ablenkte? Die Kraft, die auf der Südhalbkugel Zyklonen rechtsherum drehen lässt und Antizyklonen einen Linksdrall verleiht? Wie auch immer, ob man das Wunder Wind einem Gott oder den Naturgesetzen zuschrieb, den Gott anpries oder die Gesetze erklärte. Aeolus steckte hinter dem Druckgradienten und der Corioliskraft, deren Folge der Nordostpassat und Südwestpassat war. Die Ursache für die Strömung war der Gradient. Die Ursache für die Ablenkung der strömenden Luft war Coriolis, und die Wirkung war die Ablenkung selbst, aber der Schöpfer von Ursache und Wirkung war er: DER GOTT DES WINDES!

Aeolus holte tief Luft und blies einen unendlichen Strom laminarer Luftpakete aus. Dabei kicherte er immer wieder. Ein Gott, der lacht! Der Windmacher lachte laut und schelmisch! Schließlich wurde aus dem Kichern ein schallendes Lachen und er fragte Poseidon, den Gott des Meeres: „Was werden die Erdlinge daraus wohl machen? Sind die Ameisen fähig, sich Flügel umzubinden und sich zu erheben? Werden sie meinen luftigen Strom nützen? Sind sie fähig, ihre alltäglichen Trampelpfade zu verlassen? Können sie meinem Aufwindstrom folgen? Wenn ihr das wollt, wenn ihr Flieger wirklich in mein Reich wollt, dann sollt ihr meinen Segen haben!“ Er holte noch einmal tief Luft und blies mit der Kraft der Sonne einen nie enden wollenden Luftstrom aus – ein Geschenk, das man nicht sehen konnte und das nicht greifbar war. Es war ein süßes Fluidum, das er bereitwillig und in Windeseile herschenkte. Satt, formbar, geschmeidig, kräftig, sich stets anpassend, Berge umspülend, über Hügel rotierend, diese seitlich umströmend, verwirbelt, laminar, sich aufteilend, herabfließend, aufsteigend, über das Meer flutschend, über das Land reibend, als Gegenwind auftretend, als Rücken- oder Schiebewind wehend und ganz einfach als permanenter Aufwindstrom entlang sämtlicher Geländekonturen! Ein Geschenk, das dankbar angenommen werden sollte. Ein Luftpaket als Geschenk! Muchas gracias! Muchas gracias! Von den 14 Tagen folgten 12 windige, fliegbare Tage!

Macher
Zu meinem 50. Geburtstag machte ich mir ein schönes Geschenk und erfüllte mir einen Lebenstraum: Ich flog mit meinen Fliegerfreunden Heimo, Wolfgang, Sigrid und Daniel nach Lanzarote. Heimo, insgeheim Aeolus selber, der Kenner aller Winde, unser Kapitän Kirk oder einfach grande Heimo, hatte alle Vorbereitungen perfekt getroffen. Flugtickets, Air Berlin Cards, Quartier in Famara, Leihauto mit Dachträger, Zurrgurte, neue Karabiner (ja, auch das!), Parktickets und seine ganze Erfahrung, alles wurde von ihm genial vorbereitet. So kam es, dass wir noch am selben Tag unserer Anreise mit dem Flugzeug Stunden später mit dem weißen Seat Ibiza und drei Drachen auf den Dachträgern die holprige, staubige Straße zum Startplatz nach La Asomada fuhren. Von den ersten Eindrücken der Landschaft mit ihrer bizarren Kargheit und der überwältigenden Küste mit dem Atlantischen Ozean (Ich bin auf einer Insel und nicht Robinson Crusoe!) beeindruckt, wird mir gar nicht recht bewusst, dass wir bereits durch einen, von allen begeisterten Lanzarotefliegern beschriebenen, Weingarten fahren. Allmählich dämmert es mir. Ich sehe die vielen halbkreisförmigen Mauern und wundere mich darüber.
Schließlich äußere ich meine Vermutung, das könnten diese Weingärten sein. Prompt bekomme ich die Bestätigung von Amigo: „Es wird auch langsam Zeit!“
Am Plateau angekommen, gibt es nur mehr eines: Hier und heute noch am Meer zu fliegen! Der Wind passt mit 25 km/h aus östlicher Richtung gespickt mit Thermik perfekt. Wir bauen auf. Heimo und Sigrid fahren zurück nach Playa Quemada, wo sie die Küste abfliegen. Mit der Hilfe von Wolfgang schaffe ich es, meinen – und nun beachte man das Adjektiv- kurzgepackten Airwave K4 zusammenzubauen. Für den Transport in einem Flugzeug mussten die Flugrohre meines Flugdrachens im letzten Drittel ausgebaut und im Drachen behutsam, mit Noppenfolien umwickelt, verstaut werden. Rupert stand mir hier mit Rat und Tat zur Seite. Wie gut, dass ich ein Netzwerk von Freunden habe! Danke an dieser Stelle! Die Aufhängung passt, der neue Karabiner passt. Ich sage mir konzentriert meinen Startspruch auf: „Beingurte geschlossen, eingehängt, Wind von vorne, Kraft schöpfen, ruhig atmen, Anstellwinkel 15 bis 20 Grad, Drache liegt neutral in der Luft, bis zum angepeilten Punkt (das war mein erster vulkanischer Basaltbrocken!) rennen, der Startlauf beginnt mit einem Schritt, beschleunigen, die Aufhängung spannt sich, umgreifen!“
Die Strömung liegt satt an. Nach wenigen Schritten hebt mich der Wind aus und zieht mich in sein Reich. Ich fliege! Ich fliege am Meer! Tiefblau liegt es da vor mir. Das Vario piepst und zeigt mir ein Steigen von 2 Metern pro Sekunde an. Unten wird alles kleiner. Ich bin konzentriert und lächle. Es gibt jetzt nur eines: Blick aufs Meer, Blick auf mein geliebtes Meer – und das fliegend. Achtsam gleite ich westlich der Hangkante entlang. Der K4 steigt. Die schon zum Schrott gezählte Rennmaschine fliegt perfekt! Ich segle weiter am Hang entlang und gewinne im Geradeausflug Höhe! Ist das ein geiler Gleiter! Ist das ein tolles Gerät. Good old K4. Friends for ever! Carving a future through the air. Herrlich. Mir wird bewusst, dass die Dinge nur so viel wert sind, wie ich ihnen Wert beimesse! Immer wieder schaue ich auf das Blau des Meeres und den Glast, den die Sonne darauf hinterlässt. Mein Hals wird immer länger, weil ich scheinbar unbewusst dem Ozean näher kommen will. Das Lugen, Schauen, Spähen, Blicken und Fokussieren lässt die optischen Reize in meinem Kopf manifest werden. Ich friere diese Bilder, diese ersten Bilder des Meeres von oben ein. Mein Meer! Mein Ozean! Mein Blau! Meine Freiheit! Mein Leben! Im Reich von Aeolus angekommen, lösen diese Endorphine in mir einen Flow aus. Ich schaue ins tiefe All und ins tiefe Meer! Ich ziehe eine Achterschleife und genieße soarenderweise den weiten Ozean und in der Ferne die weiße Gischt. Jetzt bekomme ich die ersten thermischen Heber, der erste Inselbart!

Thermik!
Der linke Flügel zieht nach oben und wie mit dem Litesport im März kreise ich steil ein und kurble wie gewohnt in dem kegelförmigen Warmluftpaket höher und höher. Kreisend geht es bergauf. Der K 4 liegt im Vergleich zum Moyes satter in der Thermik, dafür ist er ein bisschen zäher.
Das spielt heute am 21. 12. keine Rolle. In der Thermik steige ich stetig hoch – und nun kommt der erste Höhepunkt meines Fluges: Mit stetem Steigen überhöhe ich den Hügelkamm und blicke erstmals ins schroffe, vulkanische Lee, die dem Wind abgewandte Seite. Da offenbart sich mir der riesig große Krater! Gestartet bin ich vom Kraterrand, den ich nun von oben betrachten kann. Nur von oben sieht man das wahre Ausmaß dieses vulkanischen Kessels! Es ist ein herrliches Loch, um das ich immer wieder meine Kreise ziehe. In der Ferne ragen die wohl stolzesten Vulkankegel der Insel, die Timanfaya, die Feuerberge, empor. Sie zu sehen, die Erloschenen, und gleichzeitig die Kraft des Windes zu spüren, das ist schon ein seltenes Glück. Aber was liegt denn im Krater unter mir genau? Da fasziniert mich das Schwarz des Kraters. Von den Vulkanausbrüchen der Insel vergangener Jahrhunderte wurde der Krater, über den ich nun wie ein schwarzer Adler oder wie eine schwarze Dohle fliege, von schwarzer Lavaasche bedeckt, es gab förmlich einen Vulkanregen. Eine dicke Schicht aus Lava und Asche legte sich auf das Land. Und nun weiß ich, warum diese Insel so schwarz ist. BASALT! Auf der einen Seite wirkt das Meeresblau. Auf der anderen Seite wirkt das Basaltschwarz. Es ist ein fantastischer Kontrast, der seine optische Wirkung nicht verfehlt. Blau-schwarz wird mein neuer Look werden. Der Lanzarote-Look! Überwältigt vom Farbkontrast, fliege ich durch den Wind versetzt ein Stück hinter die Kraterkante und lasse mich von neuem hochreißen. Was nun folgt, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten. Wie schon auf dem Boden, erkannte ich auch in der luftigen Höhe erst allmählich, was der Krater noch für Geheimnisse preisgab. Dieser Krater war selber von tausenden künstlichen Minikratern übersät. Dieser Krater bildete die Basis für tausende Krater, in denen in jedem einzelnen EIN REBSTOCK gedeihen konnte. Das waren hunderte Schutzwälle für Rebstöcke! Jeder Kleinkrater beherbergte seinen einzigen Rebstock! Im Krater lagen hundertfach akribisch in parallelen Reihen angelegte Hügel, in denen Weinstöcke wuchsen. Mit Baggern wurden diese Krater ausgegraben. So entstanden Minilöcher aus Basaltkies, in deren Mitte ein Rebstock rankte. Um diese künstlich angelegten Löcher wurden aus großen Basaltsteinen Mauern bis zu einem halben Meter Höhe geformt.
Diese Schutzmauern haben die Form eines Halbkreises und sind gegen den vorherrschenden Nordostpassat ausgerichtet. Der starke Wind würde jeden Rebstock hin und her peitschen, wenn er nicht diesen basaltigen Schutzwall hätte. Der Rebensaft würde im Krater ausrinnen die Trauben vom Wind sozusagen gemaischt. Auf mich übte diese Art der Agrikultur eine derartige Faszination aus, dass ich mein Meer komplett vergaß! Meine Vergangenheit als Winzer holte mich nun ein. Mich faszinierte die Art der Auspflanzung der Weinstöcke. Die besondere Art der Weinkultur auf erloschenen Vulkanen verblüffte mich. Mitten in einem gewaltigen Vulkankrater wurden wieder tausende Krater nicht angehäuft, sondern vertieft! Mitten in dieses von der Natur geformte Rund wurden von Menschenhand künstliche, runde Gärten errichtet. Mauern zum Schutz vor dem Wind, damit Wein gekeltert werden konnte! Es wurde hoch Basaltkies angehäuft, um Tiefwurzler gedeihen zu lassen. Diese seltenen, außergewöhnlichen Weingärten, diese bizarren, kargen, schwarzen, runden Basaltweingärten findet man überall auf Lanzarote. Sie prägen zu einem großen Teil das Landschaftsbild. Sie zogen meine Blicke für den Rest meines ersten Fluges auf sich. Ich flog über den Weingarten. Ein Winzer, der über einen Weingarten flog, war ich! Der Vogel, der über seine Vergangenheit schwebte, war ich! Die Ästhetik der Kargheit verband sich mit meiner persönlichen Lebensgeschichte. Die Schönheit dieses schwarzen Juwels mit den tausenden Halbkreisen rief in mir tausende Bilder meiner Vergangenheit hervor. Es war so, als ob jedes einzelne, steinerne Rund ein Bild ergab und meine Vergangenheit wie ein Mosaik gespiegelt würde. Im Laufe von 25 Jahren hatte ich zusammen mit meinem vor genau einem Jahr verstorbenen Großvater jährlich rund 6000 (sechstausend!) Liter Wein gekeltert und verkauft, ja auch einen marginalen (!) Teil getrunken (). Immer war die Arbeit beginnend mit dem Rebschnitt im zeitigen Frühjahr, der Laub- und Jätarbeit im Sommer und der Ernte im Herbst beschwerlich und mühsam. Die Hochkultur mit den aufwändigen Drahtrahmen und moderner Rebschnitt erleichterten die Arbeit auch nicht gerade. Aber hier im vulkanischen Basalt der Insel schien Winzers Fleiß noch eine Stufe beschwerlicher zu sein. Hier geschah alles auf dem Boden. Hier musste man sich gewaltig oft bücken, um aus einem Kilogramm Trauben 0,75 Liter Vino tinto oder Vino blanco zu keltern. Nun wusste ich auch, wem ich diesen schönen Flug widmen würde: Meinem Großvater. Für ihn flog ich Runde um Runde über dem majestätischen Weingartenkrater. Ich denke mir manchmal, ob es nicht dieser Weingarten in Maggau war, der mich derart geerdet hat, sodass ich (tiefenpsychologisch erklärt) den enormen Wunsch zu fliegen schon früh verspürte. Ob es nicht diese Form der Erdung war, die mich flügge werden ließ! Ob es nicht die starke Bindung daran war, aus der das Verlangen, ein Ikarus zu werden, entstand. Um aus Gefangenschaft zu fliehen, wie es so schön heißt. Wenn dem so sein sollte, dann bin ich dem Schöpfer meines Weingartens sehr sehr dankbar! Muchas gracias Opa! Die Reben inmitten der kleinen Krater (der Durchmesser beträgt ca. 2 Meter) trugen Ende Dezember noch saftige Blätter, was sich nur durch die enormen Wassermengen im November erklären lässt. Da hatte es richtig viel geregnet. Der aufgeschüttete Basaltkies speichert in seiner großporigen Oberfläche Wasser. Obwohl die Weingärten wegen des enormen Windes künstlich bewässert werden müssen, wirkt sich die hygroskopische Eigenschaft des Basaltkieses positiv auf den Wasserhaushalt des Rebstockes aus. Über Nacht wird der Taupunkt erreicht und so Wasser vom Kies gespeichert. Normal verlieren die Reben auch im milden Winter der Insel die Blätter. Aber in diesem Jahr blieben die Weinstöcke grün! Ich deutete das als gutes Zeichen für regenarmes Wetter und schöne Flüge. Grün ist ja die Farbe der Hoffnung! Nach einiger Zeit zückte ich meine Kamera und machte die ersten Fotos und Videos von diesem Schauspiel, dem Himmel und dem Meer, dem Himmel und der Erde, dem Himmel und dem Weingarten. Das Ying Yang (Himmel und Erde) von Lanzarote hatte mich in seinen Bann gezogen. Nach einer traumhaften Flugstunde war die Sonne westwärts gewandert und stand nun tief knapp über dem gleißenden Horizont. Ich genoss den Abendsonnenglast. Die Halbkreise der Weingärten warfen lange, elliptische Schatten auf den Boden. Das Meer schimmerte dunkelblau und der Gegenhang leuchtete kupferrot, so als hätte jemand ein Abendfeuer entzündet. Ich landete auf dem Plateau, von dem ich gestartet war und auf dem sich der Weingarten befindet. Toplandung! Butterweich. Seelig. Die Insel der schlafenden Vulkane war für mich nun die Insel der schwarzen Weingärten geworden. Ich hatte in die schwarzen Pupillen Lanzarotes gesehen! Es war der 21. 12. 2015.

Mala
Wenn ich meinen 500. Flug mit dem Flugdrachen geplant hätte und ihn auf Lanzarote genau um meinen 50. Geburtstag festgelegt hätte, wäre diese Rechnung möglicherweise nicht aufgegangen. Genauso, wie ich nicht geplant hatte, dass mein 50. Start mit dem Drachen im Jahre 1990 von der Startrampe des Schöckl mit einem Fehlstart endet und der 50. Flug dann mit dem Hubschrauber (Oberarmbruch) gemacht wurde. Manche Dinge geschehen, weil sie geschehen. Manchmal läuft nicht alles nach Plan. Umso größer war meine Freude, dass ich auf Lanzarote meinen 500. Flug durchführte! Zufall!
Wieder fahren wir als starkes Team Neil Heimostrong , Edwin Walterin, Mike Wolleins, Prinzessin Leilasigrid und Dhaniel Solo eine holprige Bergstraße mit vielen Schlaglöchern hoch. Wir haben die Trampelpfade des Alltags weit hinter uns gelassen und sind zu Fliegern mutiert. Es dreht sich alles nur ums Fliegen. Wir sind Piloten, Ikarusse der Jetztzeit. Der Gestaltwandel vom bodenständigen Erdenbürger zum Luftikus hat sich vollzogen. Es ist wie eine Metamorphose von der kriechenden Raupe zum fliegenden Schmetterling. In uns gibt es ein zusätzliches Chromosom – das Archaeopteryx X! Die gegenseitigen, wichtigen Hilfestellungen beim Transport der Fluggeräte, die Starthilfe, die Landehilfe bei Starkwind, die Taxidienste, das Reparieren allfälliger Geräte- oder Geräteteile und das tägliche Briefing haben die Freundschaften gefestigt und die Gemeinschaft gestärkt. So hat jeder Robinson Crusoe auf der Insel seinen persönlichen Freitag, der hilft, wenn es notwendig ist! Ich hatte am 24. 12. bei sehr starkem Wind sogar den Weihnachtsmann (Danke Wolfgang!) ganz allein für mich. Nur kam nicht er vom Himmel, ich war es, und er stand schon bereit und hielt mich fest! Wir sind ein Team! So tragen wir nun unsere Fluggeräte zu zweit über die Staumauer aus Beton. Das rostige Geländer mahnt zur Vorsicht. Mit Mühe erklimmen wir die felsige Geländekante, die den Blick zum Meer freigibt. Für sein Glück muss man sich eben ein wenig anstrengen. Aufbau. Check. Start. Bei laminarem Wind hechten wir uns über ein basaltiges Geröllfeld und werden vom Aufwindband rasch aufwärts befördert. Wieder liegt das Meer vor uns. Dieses Mal ist es noch näher als in Macher. Ich fliege am Meer und genieße die butterweichen Aufwinde. Wie von selbst fliegt der Drache. Es ist Hangsegeln vom Feinsten. Ohne große Mühe halte ich mich in dem Wind, ziehe lang gezogene Achterschleifen und lasse mich heben. Die markante Staumauer, über die wir noch vor einer Stunde die Drachen getragen haben, ist nur mehr ein schmaler Streifen. Der Stausee ist eine winzige Lacke. Das weiche Soaring mit dem steten Aufwind lässt mich ermüdungsfrei gleiten, segeln, schweben und immer wieder das Meer genießen. Blick zum Meer! Im Westen prangt der Vulkan de la Corona. Sein Ausbruch hat die einzigartigen Höhlen La Cueva de los Verdes und Jameos del Aqua entstehen lassen. Letztere hat einen Innensee, der unter dem Meeresspiegel liegt. Der Besuch der Cueva de los Verdes ist eine Reise ins Herz der Erde. Überall kann das Fließen der Lava bis ans Meer erkannt werden. Riesige, erstarrte Lavafelder reichen bis ins Wasser und sorgen für eine wahre Schönheit zwischen Ozean und schwarzem Land. So sind die erstarrten Lavaflüsse und Lavafelder stumme Zeugen der geologischen, feurigen Aktivität. Ich verstehe mehr und mehr, woher der Künstler Cesar Manrique seine Inspirationen erhielt.
Ab und zu ist mir, als könnte ich das Zischen und rasche Aufschäumen des Salzwassers beim Einfließen der heißen Lava hören, aber das ist nur die Brandung in der Ferne. Ja, ja, die Ferne! „Du weißt schon, dass du bis jetzt noch nicht über das Meer geflogen bist, sondern nur im Hinterland mit Blick auf das Meer, also am Meer, ABER noch nicht über das Meer geflogen bist!“, sagt Leilasigrid. Ich weiß das und ich bleibe geduldig.
Ich fliege auch nicht an den Strand, um dort zu landen. Ich bleibe vorsichtig und lande auf der Landewiese, die mir sicherer scheint. Sie ist ein herrliches, hindernisfreies, ebenes Lavafeld mit viel Kies und hat einen Windsack, der die Windrichtung anzeigt. Stehend. Butterweich. Wieder seelig. Wieder am Meer. Dieses Mal schon sehr nahe. Zum Greifen nahe!

Mirador
Im viertgrößten Sternbild unseres Himmels, im Walfisch, stahlt der Stern Mira, was die Wunderbare bedeutet. Mirador erinnert mich deshalb an etwas Wunderbares und an das Wunder, das dort geschah. Die Crew der Mission Apollo hatte sich aufgeteilt. Mala für die einen und Mirador für die anderen. Wir entschieden uns für Mirador – und das war die richtige Entscheidung!
Die Fahrt nach Orzola führt entlang der Küste. Einzigartige Lavaformationen rauben mir den Atem. Der Ozean und der Vulkan. Es sieht wie auf Hawaii aus. Die Bergfahrt auf den 475 Meter hohen Mirador del Rio ist dramatisch und genial zugleich. Malerische Weingärten, der mächtige Volcan de la Corona, ins Meer steil und flach abfallenden Buchten und dann die mächtige Steilküste von Orzola. Abenteuerlich ist die Anfahrt zum Startplatz. Tiefe Gräben, gemeine Schlaglöcher und ein Weg, den man besser nur mit Geländeautos befahren sollte, sorgen für die nötige Vorsicht beim Fahren. Wie gut, dass wir drei gepolsterte Leitern auf dem Dach haben. Die Drachen liegen weich und geschützt. Endlich hat die Rallye im Gelände ihr Ende! Was sich nun dem Piloten offenbart, ist ein herrlicher Ausblick auf die Nachbarinsel La Graciosa und den berühmten Risco de Famara. Heute weht ein Nordostwind mit 35 km/h, also genau richtig. Es folgt der Aufbau (20 Minuten), der Vorflugcheck (2 Minuten) und dann der Startlauf (2 Sekunden!), die Geburt zu einem grandiosen Flug ÜBER DAS MEER! Nach wenigen Schritten über die steinige Klippe hebt mich der Nordost und schon bin ich airborn, luftgeboren, ein Luftgeborener, was für ein Ausdruck, was für ein Gefühl! Die Luft strömt gegen diese Steilküste und wird zum Aufsteigen gezwungen. Es bildet sich ein nach oben gerichteter Luftstrom, in den ich mich nun hänge.

Vor der Steilküste entsteht ein gigantischer Luftpolster, der nun einen Flug hinaus auf das Meer erlaubt. Langsam taste ich mich von der Küste weg und checke den Gegenwind, den Aufwind und vor allem die Höhe. Kontinuierlich steige ich im Geradeausflug und schon habe ich den Strand in einer Höhe von 600 Metern überflogen. Ich schwebe genau über die Grenze zwischen Ozean und Land. Weiß schäumt das Meer unter mir auf. Die Wellen rollen vom Wind angetrieben auf den Strand zu, brechen und schäumen heftig.
Die Gischt wird vom Wind nochmals aufgepeitscht und versprüht in Richtung schwarzen Kiesstrand. In der Luft liegt die salzige Feuchtigkeit des aufgepeitschen Meeres. Tief atme ich die schwangere Meeresbrise ein.

Der Kontrast der weißen Gischt und des schwarzen Kiesstrandes verbreitet seine Reize. Die Wassermassen bewegen sich im ewigen Rhythmus von Wind und der anziehenden Kraft des Mondes und der Sonne. Genau über der Gischt fliege ich! Das Blau des Meeres, das Weiß der Gischt, das Schwarz der Lava – es sind magische Momente im Himmel von Mirador! Das erste Mal in meinem Leben fliege ich mit meinem Drachen über das Meer! Das erste Mal verlasse ich das Festland in Richtung Ozean, über Poseidons Reich. Das erste Mal verlasse ich die Insel fliegend. Jetzt bin ich IKARUS! Weit hinaus gegen den Wind, aber immer noch im sicheren Aufwindbereich mit Steigen segle ich hinaus.

Möwenschwärme begleiten mich. Der Leuchtturm am nördlichen Ende der Steilküste kommt in Reichweite. Paragleiter tummeln sich, unten am Meer kreuzt eine Touristenfähre. Ich erkenne Neil Heimostrong und freue mich über die Begegnung mit meinem Freund, dem treuen Weggefährten, mit dem dieses Abenteuer begann. Immer noch fliege ich geradeaus über den Ozean. Ich ziele lange hinaus aufs offene Meer und bin endlich ganz allein über dem Atlantischen Ozean. Allein in dem großen Wind. Allein über dem geliebten Meer. Zur Küste trennen mich nun 500 Meter! Mira, die Wunderbare. Nach dem ersten Ausflug auf das offene Meer ziehe ich meine Kreise über dem blauen Nass und stelle einen starken Windversatz in Richtung Küste fest. Der Schiebewind oder Rückenwind bringt mich nach wenigen Minuten wieder zurück über den Startplatz, den ich mir in aller Ruhe ansehe. Andere Drachenflieger starten. Weitere Paragleiter folgen. Wieder beginne ich das sanfte Spiel mit dem Wind von vorne und steuere in Richtung offenes Meer hinaus. Dieses Mal bin ich schon sicherer und genieße den einmaligen Ausblick auf die Nachbarinsel La Graciosa. Von meiner luftigen Beobachtungskanzel aus widme ich mich nun den drei großen Vulkanen „Der Stolzen“. Wie ein Außerirdischer im Anflug auf einen fremden Planeten komme ich mir vor.

Die Insel sieht so surreal und schön zugleich aus, dass sie ihren poetischen Namen nicht umsonst trägt. Einige Piloten haben den Flug dorthin schon gewagt, für mich ist das aber ein zu waghalsiges Unterfangen, auch wenn der Wind perfekt mitspielen sollte. Zwei Kilometer über das offene Meer zu gleiten ist für meine Nerven nicht das Richtige. Und dennoch hält ein Österreicher den Rekord im Überfliegen des Meeres! Thomas Weissenberger flog von Lanzarote über 20 Kilometer nach Fuerteventura. Mir genügt das Sein und Bleiben über dem Meer. Mir ist das Verweilen als Segler genug. Vom Leuchtturm gleitet Mike Wolleins her. Wieder ein Pilot, den ich ins Herz geschlossen habe. Einfach ein lieber Mensch. Dass es solche Menschen noch gibt, sinniere ich und winke ihm lachend zu. Nun fallen mir meine Lieben zuhause ein. Die Hand hebend grüße ich nach Norden. Ich sende meine Gedanken an meine Familie zuhause. Ich denke intensiv an Gisela und Alexandra, die mir diesen schönen Flugurlaub von Herzen gönnen. Ich sende jeder ein „Ich liebe dich!“ in den Äther und beginne den Tanz auf dem Luftpolster von vorne. Wieder zieht es mich auf das offene Meer hinaus. Wieder spiele ich Ikarus und schneide tief bewegt und vereint mit den Kräften der Natur eine Spur in die Zukunft. Weit draußen rezitiere ich Rilkes „Natur ist glücklich“, während meine Blicke die Wellen des Meeres streifen. Lange noch bin ich eins mit der Luft und dem Wasser, bin von der Erde abgehoben und spüre das innige Sein in der Natur. „Verweile doch, du bist so schön!“ spricht eine Stimme. Nun bin ich waterborn, wassergeboren, der Wassergeborene. Ich bin Aeolus und Poseidon zugleich!

Nach zwei Stunden lande ich mit Heimo bei sattem Gegenwind auf dem Landeplatz vor der Küste und bin glücklich. Mein Flug über das Meer ist Realität. Und wie schon so oft, finde ich, ist die Wirklichkeit schöner als der Traum! Der Famaraflug, der Flug entlang des Risco, ist nicht zustande gekommen, weil eine Westwindlage ausgeblieben ist. Da muss ich wohl noch einmal auf die Insel der schlafenden Vulkane! Ich muss mir immer einen Wunsch offen lassen, dann habe ich einen Grund, mich auf seine Erfüllung lange zu freuen.

UND: JETZT BIN ICH 50!

Glück ab, gut Land!
Muchas gracias! Hasta la vista!

Walter Riedl, im Februar 2015, für Heimo, Gisela und Alexandra


Natur ist glücklich Rainer Maria Rilke
Natur ist glücklich. Doch in uns begegnen
sich zu viel Kräfte, die sich wirr bestreiten:
wer hat ein Frühjahr innen zu bereiten?
Wer weiß zu scheinen? Wer vermag zu regnen?

Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
Wer fasst in sich der Vogelflüge Raum?
Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
wie jeder Zweig an einem jeden Baum?

Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
ins unbekannte Glück so rein, so reg?
Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
und hält sich oben wie ein Wiesenweg?


Bilder von Lanzarote gibt´s auf Picasa


Bild "2005-04-29_Walter_Riedl.jpg"
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